Radim Vácha
Die Kapelle auf Grafenstein gehört mit ihren Wandmalereien und der erhaltenen Ausstattung zu den eindrücklichsten Sakralräumen der Renaissance auf dem Gebiet der Tschechischen Republik. Sie entstand beim großzügigen Umbau der gotischen Burg Grafenstein in eine Renaissanceresidenz, den in den Jahren 1564–1569 der damalige Burgbesitzer durchführen ließ.
Die ursprüngliche Malerei wurden in der Technik fresco-secco (“Nass-Trockenmalerei“) ausgeführt, das heißt, dass in den gereiften und feuchten Putz die Farbe eingestrichen wurde, wobei die Pigmente mit Eiweiß gebunden waren. Die flächigen Übermalungen (ca. 42% der Malerei), die in der Kapelle wiederholt Spuren hinterließen, respektierten zum Glück stets die ursprüngliche Konzeption der Wandmalereien. Trotzdem veränderte sich der Gesamteindruck von ursprünglicher Leichtigkeit und Nuancenreichtum in Richtung einer stärker kontrastreichen Dekoration. Die ideelle Konzeption der Wandmalereien der Kapelle umfasst in den Deckenmedaillons einen neutestamentarischen Zyklus mit Szenen der Passion Christi, der mit dem Einzug in Jerusalem beginnt und mit dem großen Bild des Jüngsten Gerichts endet. Die Ausführung dieser Darstellungen unterscheidet sich aufgrund der unempfindlichen Übermalungen von der umliegenden Malerei, ihre Bemalung ist dichter, die Zeichnung findet da nicht so viel Anwendung und es fehlt die Leichtigkeit. Die Medaillons sind in die Flächen mit einem groteskartigen Dekor eingesetzt: mit Engelsmotiven, Einhörnern, Löwenköpfen und Amaranth-Blüten, verbunden mit Rankenmalerei. Die ursprüngliche Malerei der groteskartigen Motiven basiert auf einer Unterzeichnung, die als Unterstützung für die malerischen Effekte und Modellierung dient. Sie bildet mit einfachen Mitteln überzeugende plastische Eindrücke, insbesondere bei den Engelsfiguren. Die Hintergründe der groteskartigen Motive wurden mit einer dunkleren braungrünen Farbe übermalt, deshalb wirken die helleren Motiven flach, als wären sie ausgeschnitten und auf einer dunkleren Unterlage eingeklebt gewesen. Es scheint, dass einige Motive in verschiedenen Ecken der Kapelle aufgrund einer momentanen Inspiration des Malers entstanden sind, so dass man zwischen den surrealen Einhörnern und Engeln auch einen Papagei, eine gemalte illusionistische Nische mit einem Wandbrett mit Büchern oder ein Stillleben mit Musikinstrumenten findet, also ganz irdische Motive, an denen der Maler und dessen Auftraggeber ihre Freude hatten. In den Gewölben der Fensternischen sind ausserordentlich schöne Wappen der Länder der Böhmischen Krone erhalten, welche von Übermalungen fast unberührt blieben. Das Erdgeschoß der Kapelle ist vertikal mit lebensgroßen Apostelfiguren rhythmisiert. An der Emporenbrüstung über zwei toskanischen Säulen befinden sich zwei Adelswappen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie tragen eine Geschichte einer unerfüllten Sehnsucht mit sich: Das von der Ordenskette des Goldenen Vlieses umkränzte Wappen bezieht sich auf Adam Mathias von Trauttmannsdorf und das zweite Wappen auf seine Ehefrau, Eva Johanna von Sternberg. Adam Matthias ließ sich die Kette auf das Wappen malen, obwohl er nicht zu den Ordensträgern gehörte. Zwar wurde ihm der Orden im Jahre 1660 verliehen, aber trotz Mahnung hat ihn der Kaiser Leopold I. nie dekoriert. Der Sehnsucht des Adam Mathias, mit dem höchsten Orden der Habsburger bekränzt zu sein, blieb die ganzen letzten 24 Jahre seines Lebens unerfüllt .
Es ist nahezu ein Wunder, dass sich trotz der Vernachlässigung der Kapelle nach dem zweiten Weltkrieg ein Teil ihres ursprünglichen Mobiliars erhalten hat: An Ort und Stelle verblieben vier Renaissancebänke in einem sehr schlechten Zustand – so genannte Stallen mit schablonenartigen Malereien – sowie eine ähnlich gestaltete Kanzel. Die Balustraden vor dem Altarbereich und auf den Emporen wurden zerstört. Das Orgelpositiv aus dem späten 17. Jahrhundert, das rechtzeitig im Nordböhmischen Museum in Reichenberg/Liberec deponiert wurde, blieb relativ gut erhalten. Der Altar mit der historischen Kopie des Gemäldes „Madonna unter dem Orangenbaum“ aus der Werkstatt von Lucas Cranach und dem Gemälde der Kreuzigung Christi von Josef Bergler im Auszug entkam hingegen den Nachkriegszerstörungen nicht. Verschollen ist auch ein Votivbild des Gnadenbildes von Altötting und verloren ging zudem die gotische polychromierte Skulptur der hl. Barbara. Von der Emporentür blieben nur Spuren an der Wand und ein paar Fragmente übrig.
Als die Wiederherstellung von Burg und Kapelle nach dem Wechsel des Regierungssystems 1989 durch ein Zusammenwirken verschiedener positiver Kräfte und Umstände begann, war der Zustand alarmierend. In der Kapelle herrschte eine hohe Feuchtigkeit sowie Versalzung des Putzes in den Erdgeschossbereichen. Auf der Empore klafften Risse im Mauerwerk, an vielen Stellen war der Renaissanceputz mit der Bemalung vom Mauerkern gelöst und es drohte der Abgang. Am meisten alarmierend war aber der Zustand der Wandmalereien selbst. In einer Mehrzahl von Flächen war die Bemalung pulverisiert, sie hielt sich nicht an der Grundschicht, sie verschwand durch die Reibung. Nach Abwägung aller Umstände, besonders desjenigen, dass der gesamte Bauzustand der Kapelle sowie der Mangel an Finanzmitteln die sofortige Restaurierung der Malereien nicht ermöglichen, wurde entschieden, die Gemälde zuerst flächendeckend auf der Grundschicht zu fixieren und zu festigen. 1994 wurde die damals übliche Sättigung der Bemalung mit einer verdünnten Dispersion mit einem Zusatz von Lovosa (Karboxymethylzelulose) nach einer Probe von Restaurator Václav Potůček durchgeführt. Es wurden zudem grundlegende Archivrecherchen durchgeführt und eine historische Fotodokumentation zusammengestellt. 1996 wurde ein Projekt für die Sanierung des Mauerwerkes hinsichtlich der Feuchtigkeit (Ing. M. Balík) erarbeitet. Die Rekonstruktion und der Einbau von Abluftkanälen im Boden wurden nach diesem Entwurf auch durchgeführt. Das Feuchtigkeitsproblem im Mauerwerk der Kapelle war damit gelöst. Im Jahre 1999 wurde eine partielle Restaurierungsuntersuchung der Gemälde mit Infrarot-Reflektografie (M. Martan) unternommen. In der nächsten Phase erfolgten weitere Grundanalysen: eine Untersuchung zum Gehalt der wasserlöslichen Salze in Putz und farbigen Schichten bei den Wandmalereien (Bayerová-Bayer 2004), zudem in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Potsdam die Vermessung und Fotodokumentation des Kapellenraumes und eine Schadenskartierung (Martan-Koch 2003/2004). Schrittweise wurden das Mobiliar (Z. Koušek, V. Potůček, M. Martan – Bänke, Kanzel, Tür, V. Valenta – Orgel) und die Steinelemente von Altarmensa, Balustraden und Portale (J. Tichý 1996/2009) restauriert. Nach diesen Vorbereitungsarbeiten war die Kapelle in einem Zustand, der es ermöglichte, mit der ordentlichen Wiederherstellung einzelner Wandmalereien anzufangen.
Eine erste Etappe der malerischen Restaurierung erfolgte 2005. M. Martan restaurierte dabei die Bemalung der Referenzflächen auf der Empore und in den Fensternischen. Auf diesen Flächen sollten das theoretische Verfahren praktisch geprüft werden. Zuerst musste geklärt werden, wie man bei Abnahme oder bei der Reduktion der Übermalungen vorgehen soll, wie man die Übermalung bei Verlust der Unterschicht korrigieren kann, in welchem Ausmaß und ob die verlorene Partien rekonstruiert werden sollen, welche Form der zusammenbindenden Retusche, einschließlich der Probedurchführung von Strichretuschen zu wählen ist. Es zeigte sich, dass die erstrangige und komplizierteste Aufgabe die Beseitigung der Verstärkungsdispersion von 1994 war, deren ursprünglich positive Wirkung auf den Erhalt des Gemäldekerns sich nach ein paar Jahren in eine Wirkung umwandelte, die tatsächlich die weitere Existenz der Gemälde bedroht. Die Wandmalereien „atmeten“ nicht, an den Stellen mit einer stärkeren Dispersionskonzentration wurden sie unter einer glänzenden Kruste geschlossen, die sich auf manchen Stellen zusammen mit der Bemalung von der Grundschicht löste.
Alle diese Fragen wurden bei der Proberestaurierung der Referenzflächen befriedigend beantwortet. Das war sehr wichtig für die sorgfältige Formulierung des Leistungsverzeichnisses in der Ausschreibung der gesamten Restaurierung der Wandmalereien. Ein grundsätzliches Kriterium betraf die Anforderung von Erfahrungen mit Anwendung der Infrarotkamera, welche für die durchlaufenden und nichtzerstörenden Forschungen der Unterschichten von Bemalungen, Untermalungen und Unterzeichnungen notwendig war. Das Auswahlverfahren gewann der Restaurator Martin Martan, welcher sich schon an den Untersuchungen in der Kapelle beteiligt und die Referenzflächen restauriert hatte. So wurde die Anbindung an das technologische Verfahren und auch an die „Restaurierungshandschrift“ gewährleistet.
Nach etlichen Jahren der Vorbereitung wurden die Arbeiten zur Restaurierung der Wandmalereien in der Kapelle am Frühling 2007 endlich gestartet. Zusammen mit M. Martan wirkten an der Restaurierung auch dessen Kollegen R. Ševčík und P. Kříž mit. Zuerst wurde die Fixierung der Wandmalereien und der losen Putzschichten sowie die Verkittung von Rissen und Hohlstellen vorgenommen. Die Dispersionsübermalungen wurden aufgeweicht und mithilfe von Kompressen, ausgehend von den Erfahrungen aus den Referenzenflächen, mit einer Mischung von Azeton und Ethanol beseitigt. Die Übermalungen wurden dann entfernt, wenn sie die Originalbemalung bedeckten. In anderen Fällen wurden sie nur reduziert, damit sie im Einklang mit der ursprünglichen leichten und luftigen Auffassung der Wandmalereien stehen. Bei den völlig verlorenen Partien wurden die die Rahmeneinfassung bildenden Linien ergänzt und so verbunden, dass die architektonische Gliederung der Dekoration erhalten blieb. Der dunkle Grundton der Groteskmotiven wurde abgenommen oder aufgehellt und so wurde auf einem Teil der Flächen auch der ursprüngliche Farbcharakter wiederhergestellt, der im Einklang mit der Ausführung der Motive steht. Es wurden leidenschaftliche Diskussionen über die Holzverkleidung an den unteren Fensterteilen geführt, auf welchen die Apostelmalereien vom Putz fortgesetzt werden. Sie waren in einem sehr schlechten Zustand; bei den polemischen Diskussionen gab es auch Stimmen, dass sie als nicht ursprünglich beseitigt und mit Putz ersetzt werden sollten und das auch mit Hinnahme des Verlustes der unteren Malereiteiles mit den Beinen der Apostel. Letztendlich, auch nach Konsultation mit Václav Girsa, dem Hauptprojektant der Wiederherstellung von Grafenstein und im Einklang mit der zugelassenen Gesamtkonzeption für die Innenräume, überwog die Meinung, dass die Holzverkleidungen authentische und historisch wertvolle Teile der Dekoration der Kapelle sind. Deshalb wurden sie restauriert und wieder an ihren Platz gebracht. Ausgehend von diesem Prinzip wurde auch die Rekonstruktion des klassizistischen Tors auf der Empore durchgeführt, dessen Form dank erhaltenen Fragmenten und historischer Dokumentation nachweisbar war.
Nach drei Jahren wurde die Restaurierung der Malereien in der Barbarakapelle 2009 abgeschlossen. Durch die Restaurierung kommen die Malereien ihrer ursprünglichen feinen und kultivierten Ausführung wieder nahe. Der Gesamteindruck der Kapelle entspricht heute wahrscheinlich der ursprünglichen Idee ihres renaissancezeitlichen Schöpfers wieder recht gut. Der Gesamteindruck der Renaissancedekoration der Kapelle, einschließlich der Teile ihrer ursprünglichen Ausstattung, ist damit fast als ein Wunder bis heute erhalten geblieben und wir können so auch nach fast 450 Jahren eine relativ klare Vorstellung davon erhalten.